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Rente mit 90 – Günter Rieb hört als Stadionordner auf

35 Jahre lang hat Günter Rieb beim FSV Salmrohr als Stadionordner gearbeitet. Jetzt hat der Club den 90-Jährigen in Rente geschickt. Der TV hat Rieb zu Hause besucht und viel über Sprachlosigkeit, Fleischwurst im Mannschaftsbus und legendäre Stürmer erfahren.

In der Anfangszeit, sagt Hildegard Klären, da habe sie noch was zu ihm gesagt. Da habe sie versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen, wenn er am Samstagabend mal wieder beim Abendbrot saß, ohne ein Wort zu sprechen. Wenn er danach auf dem Sofa vor dem Fernseher hockte, keinen Ton herausbrachte und einfach nur stumm in Richtung Flimmerkiste starrte. „Du, Günter“, habe sie dann gesagt, „du, ich kann doch auch nichts dafür, jetzt sprich doch mal was“. Oder: „Günter, das bringt doch jetzt nichts, wir können uns doch unterhalten.“ Nichts. Günter Rieb brachte keinen Ton heraus an diesen Abenden. Ab und an vielleicht mal ein knappes „Ja“, oder mal ein kurzes „Nein“ – mehr nicht. Mittlerweile, gut knapp zwei Jahrzehnte später, spart sich Hildegard Klären die Worte an solchen Abenden. Sie hat sich längst daran gewöhnt. „Ich lasse ihn dann einfach in Ruhe“, sagt Klären und fängt an zu lachen, „ich weiß ja sowieso, dass am nächsten Morgen wieder alles gut ist“.

Günter Rieb und Hildegard Klären sind seit 17 Jahren ein Paar. Er nennt sie liebevoll „die Chefin“, sie nennt ihn „Günter“. Seit 17 Jahren weiß Hildegard Klären, dass es da neben ihr eine zweite Liebe im Leben ihres Günters gibt. Eine Liebe, die sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, eine Liebe, die ihrem Günter ziemlich viel bedeutet und eine Liebe, die ihr so manchen Kompromiss abverlangt: „Meine Enkelin heiratet im September“, erzählt Klären, „wenn der FSV Salmrohr dann ein Heimspiel haben sollte, wird Günter nicht mit zur Hochzeit gehen, das steht schon fest, das hat er schon gesagt“. Günter Rieb sitzt direkt neben ihr auf der Eckbank in der Küche, zu Hause in Neumagen-Dhron. Rieb nickt bestätigend, während er den Worten seine Lebensgefährtin lauscht. Ein kurzes Lächeln, dann sagt er: „Wenn der FSV spielt, bin ich da.“

Günter Rieb und der FSV Salmrohr – das ist eine untrennbare Verbindung. Seit Anfang der 1980er Jahre hat der Mann aus Neumagen-Dhron an der Mosel so gut wie jedes Heimspiel des FSV besucht. Erst als Fan, dann als Ordner. 35 Jahre lang hat Rieb an seinem Platz gestanden. Jedes Heimspiel, Salmtalstadion, Innenraum, Gegengerade, Höhe Mittellinie, direkt am Stahltor, durch das die Spieler laufen, bevor sie den Platz betreten. Rieb war der Mann am Tor. Wer aufs Feld wollte, musste an ihm vorbei. „Wenn die Jungs reinliefen, habe ich sie nacheinander abgeklatscht“, erzählt der Senior, „das war unser Ritual“.

Vor kurzem, wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag, hat der FSV Günter Rieb in den Ruhestand geschickt, Ordner-Rente sozusagen. Zum Abschied gab’s ein dickes Dankeschön von FSV-Ehrenpräsident Peter Rauen und dessen Sohn Christian, dem zweiten Vorsitzenden des Oberligaclubs. Er hätte, und das betont Rieb immer wieder, gerne noch weitergemacht. Doch es geht nicht, „die Knie machen nicht mehr mit“. Als er den Satz ausgesprochen hat, hält Rieb kurz inne. Ein paar Sekunden ist es still. Dann fährt es aus ihm heraus: „Aber wenn der FSV mich braucht, bin ich da, dann helfe ich gerne wieder aus.“ In der neuen Oberliga-Saison zum Beispiel, wenn Eintracht Trier zum Derby ins Salmtal kommt. „Wenn sie mich nicht brauchen, schaue ich mir die Heimspiele von der Tribüne aus an“, sagt Rieb. Um ein Ticket muss er sich ohnehin nicht kümmern, der Verein hat ihm schon vor Jahren eine Ehrenkarte überreicht. Die trägt er immer im Portemonnaie, stets griffbereit.

Angefangen mit ihm und seinem FSV hat das alles im Jahr 1982. Rieb hat bis zu diesem Jahr bei der Moselbahn gearbeitet, 40 Jahre insgesamt. Erst als Hilfs-Schaffner, dann als Schaffner, dann als Ober-Schaffner und Zugführer. Später, als der Bahnbetrieb eingestellt wird, arbeitet er noch 20 Jahre als Busfahrer für das Unternehmen. Mit 55 Jahren geht er in den Ruhestand.

Salmrohr ist ihm immer schon sympathisch, früher als Jugendlicher fährt er öfter mit dem Rad von seinem Geburtsort Mülheim an der Mosel die knapp 20 Kilometer ins Salmtal. Dann, er ist noch nicht lange in Rente, fragt ihn ein Freund, der damalige FSV-Spieler Alfred Schömann, ob er nicht mal wieder mitkommen wolle ins Stadion. „Von da an hat’s mich nicht mehr losgelassen“, erzählt Rieb. Zunächst ist er nur als Fan dabei. Dann, wenige Monate später, kommt die Frage, ob er nicht als Ordner anfangen wolle. Er will und bleibt dabei.

Mit dem FSV durchlebt er turbulente Jahrzehnte. Er ist in der 2. Bundesliga dabei, sieht verrückte Spiele wie das 5:5 gegen Hannover 96 im Juni 1987. Er erlebt packende Derbys gegen Eintracht Trier, feiert Aufstiege, leidet bei Abstiegen, ist mit den großen FSV-Stars Klaus Toppmöller, Bernd Hölzenbein oder Wolfgang Kleff per Du und steht montagsmorgens schon um vier Uhr am Briefkasten, um die Spielnachberichte im Sportteil des Trierischen Volksfreunds nachzulesen. „Ich konnte dann oft die ganze Nacht nicht schlafen“, gesteht der Mann von der Mosel, „ich war sehr unruhig“.

Ein Spieler hat es ihm in den ganzen Jahren besonders angetan: Klaus „Toppi“ Toppmöller: „Der Toppi“, sagt Rieb und nickt anerkennend, „das war ein Ausnahmespieler. Wenn der den Ball im Strafraum bekommen hat, dann war der drin – zack, zack ging das bei dem“. Dann hält er wieder kurz inne, bevor er bemerkt: „Eine tolle Zeit war das, fast schon wie ein Märchen, ein kleines Dorf in Liga zwei.“

Schon damals ist Rieb ein fester Teil der Mannschaft. Nicht nur bei allen Heimspielen ist er vor Ort, auch auswärts begleitet er Schömann, Toppmöller & Co. Zusammen mit anderen Fans reist Rieb im Mannschaftsbus zu den Auswärtsspielen. Während die Fans im vorderen Busteil Platz nehmen, residieren die Spieler im hinteren. „Wir hatten unsere festen Plätze“, erinnert sich Rieb. „Ich hatte immer einen Ringel Fleischwurst und eine Flasche Wein dabei, Bäcker Beicht aus Salmrohr brachte frische Brötchen mit – das war lecker.“ Wenn die Fans sich vorne im Bus nach dem Fleischwurst-Brötchen eine Verdauungs-Zigarette anstecken und der blaue Dunst den Bus einnebelt, kommt das einem Fahrgast im hinteren Teil gar nicht so ungelegen. „Ich fand das nicht schlimm“, erinnert sich Klaus Toppmöller lachend, „manchmal bin ich dann auch nach vorne durchgerutscht zu den Fans“.

Der ehemalige Bundesliga-Stürmer des 1. FC Kaiserslautern ist damals zwischen 1981 und 1987 zum Ausklang seiner Profikarriere im Salmtal aktiv. An jedes seiner 114 Tore für den FSV zwischen 1981 und 1987 – in 168 Pflichtspielen – kann sich der heute 65-Jährige nicht mehr erinnern, an Kult-Ordner und Edel-Fan Günter Rieb dafür umso mehr: „Er ist ein klasse Typ, er war immer dabei, ich wünsche ihm alles Gute und hoffe, er kommt noch oft ins Salmtalstadion.“

Geht’s nach Günter Rieb, dann können die Tage bis zum 29. Juli gar nicht schnell genug vergehen. Dann trifft sein FSV in der neuen Oberliga-Saison im ersten Spiel zu Hause auf den TuS Mechtersheim. Er wird sich wie immer eineinhalb bis zwei Stunden vor Spielbeginn in Neumagen-Dhron in seinen Mercedes setzen und ins Salmtalstadion fahren. „Mein Traum wäre es“, sagt Rieb, „wenn ich mit dem FSV irgendwann noch mal einen Aufstieg feiern könnte“. Seine „Chefin“ – so viel steht fest – könnte sich sicher sein, dass ihr Günter dann abends nicht sprachlos vor dem Fernseher sitzen würde – er wäre außer sich vor Freude.

In einem Video auf www.volksfreund.de/videos erzählt Günter Rieb aus seinem Ordner-Leben und verrät, warum er im Stadion stets eine große Glocke dabei hatte.

 

 

Quelle: www.fupa.net